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Bell Tower während der Rush hour.

Selbstverständlich gibt es schon unzählige Suchergebnisse mit Bildern der Terrakotta-Krieger, des Glockenturms und der 14 Kilometer langen, komplett erhaltenen Stadtmauer der chinesischen Stadt Xi´an, doch nur wenig sieht man von dem Alltag, in welchem ich ein ganzes Jahr ein Teil war. Zumindest ein sehr kleiner Teil bei acht Millionen Einwohnern. Im Gegensatz zu Shanghai, Peking oder Hong Kong, steckt man in Xi´an meist noch mitten im traditionellem China mit bisher nur übersichtlichem westlichen Einfluss. Umso mehr nimmt man Teil an Traditionen, Bräuchen, Sitten, am alltäglichen Leben und fügt sich ein in die Gemeinschaft der Menschenmengen.

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Typisches Taxi in Xi´an.

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Eine von vielen verniedlichten Atemschutzmasken.

Aber wie schlägt man sich bei acht Millionen Mitmenschen durch? Wie erklärt man dem Taxifahrer den Weg? Welches Essen bekommt man, wenn man auf ein beliebiges Gericht via Zufallsprinzip tippt? Nach dem anfänglichen Abenteuer kommt man schnell in den Alltag. Und so blickt man tiefer und tiefer in das Leben vieler Mitmenschen. Verkäufer jeglicher Sachen und Snacks an den Straßenecken über junge kichernde Mädels die in ihren Kitteln Flyer für eine Apotheke verteilen bis hin zu chinesischen Hochzeiten.

Geprägt von dem städte-typischen Kontrast, in welchem die konventionelle Kultur auf die immer schneller wachsende Modernität trifft mit einer weit aufgespannten Wohlstandschere, könnten die Gegensätze nicht größer sein. Somit ist es umso spannender in das Leben einzutauchen, um unvergessliche Eindrücke zu gewinnen und mit meiner Kamera festzuhalten. Ungestellt und authentisch sollten diese aus dem Moment herausgezogenen Augenblicke werden. Denn diese Stadt hat viel mehr zu bieten als die eindrucksvolle Terrakotta-Armee oder die imposant beleuchtete Stadtmauer. Vor allem die Seitenstraßen mit ihren schmalen Gassen und Hinterhöfen haben es mir angetan mit ihrem typischen Charme.

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Seitengasse inmitten des Muslim-Viertels.

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Jugendliche an einem der zahlreichen Straßensnackständen.

Abseits der viel befahrenden Hauptstraßen sieht man das Leben vieler Bewohner. Kinder, die mit ihren quietschenden Schuhen streunenden Katzen hinterherlaufen, Jugendliche die in ihrer spärlichen Freizeit auf öffentliche Plätzen ihre Fixed Gear Räder ausfahren, Rentner die in Parks in Mahjong um Steine buhlen, Familien die bei der Totengeldverbrennung an die verstorbenen Verwandten gedenken, Paare die sich um Nichtigkeiten streiten, die abends dann zum Straßen-Barbecue wieder zusammenkommen und sich gegenseitig respektvoll ihren Reiswein zuprosten.

Anfangs eher zurückhaltend versuchte ich die Momente von außen festzuhalten, jedoch auf Grund der gegenseitigen Neugierde verflüchtigt sich schnell die Scheu und man ist umringt von den Mitmenschen. Nicht selten steht man dabei selbst vor der Kamera anstatt dahinter.

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Innenhof einer Siedlung.

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Blick aus meinem Apartment bei herbstlichem Smog.

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Chinesisches Neujahrsfest.

Da mein Bekanntenkreis während meines Aufenthaltes überwiegend aus chinesischen Freunden bestand und weniger aus anderen Laowais, was zu deutsch Ausländer bedeutet, bekam ich oft die Gelegenheit, an chinesischen Feiern, Veranstaltungen, Festivals, Ausstellungen und Teezeremonien teilzunehmen. Die kulturell unterschiedlichen Feiergewohnheiten der Jugend in Xi´an ziehen sich wie ein roter Faden von den Trinksitten bis hin zu den Bar- und Clubgewohnheiten hindurch.

Insofern muss man sich auf das häufige Exen von Bierflaschen einstellen, bei dem man nicht eins nach dem anderen bestellt wird, sondern vielmehr gleich zehn Flaschen auf einmal vor einem stehen – geöffnet. Auch das Anstoßen läuft nicht so einfach wie man es hierzulande kennt. Während die Abendplanung mit einem ausgiebigen und gemeinsamen Abendessen beginnt, trifft man die Jugend der Stadt anschließend in den zahlreichen Karaoke-Bars, wo ungefähr genauso viel Alkohol fließt wie in den Clubs.

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Party nach einem ausgiebigen Dinner.

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Moderne Kunst hält Einzug in das sonst so konventionelle Xi'an.

Aber auch außerhalb der Stadtmauern Xi´ans gibt es sehenswerte Plätze und Landschaften. Künstlerviertel, viele Parks, das Gelände der Gartenexpo 2012 und etliche Gebirgsketten bieten einem eine Fluchtmöglichkeit aus der Hektik der Großstadt in der die Rushhour nicht selten von 12 Uhr Mittags bis 22 Uhr Abends reicht. Besonders während der Frühlingszeit lohnt sich ein Ausflug in die umliegenden Naturgebiete. Ume-Blüten, Kirschblüten und viele weitere Sträucher präsentieren sich dann von ihrer prachtvollsten Seite und locken unzählige Brautpaare an, um vor das Blütenfest für ihre Hochzeitsfotos zu posieren.

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Auf den Hügeln vom Cui Hua Shan in Xi'an.

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Internationale Gartenbauausstellung, „Dug“ von Topotek1.

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Internationale Gartenbauausstellung, Garden Plot 6 von Martha Schwartz Partners.

Rückblickend war das eine Jahr in China vollgepackt mit Unmengen an prägenden Eindrücken, vielen neuen Freundschaften, imposante Augenblicke und 75 Gigabyte an Fotos aus dem Land der aufgehenden Sonne. Und ich kann jedem der nach China reist nur empfehlen, sich auch abseits der Touristenattraktionen umzuschauen und sich auf die Kultur einzulassen. Es lohnt sich.

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