Im vierten Teil der großen PIXXEL-Serie „Was ist eigentlich…?“ wenden wir uns heute einem weiteren Mittel zu, das es uns erlaubt, Bilder interessanter und lebendiger wirken zu lassen. Es geht um die Wirkungsweise von Diagonalen als gestalterisches Werkzeug.

Was ist eine Diagonale?

Eine Diagonale ist nichts anderes als das, was wir aus dem Mathematikunterricht der 5. Klasse kennen, sofern wir uns noch daran erinnern können. Neben horizontalen/waagerechten Linien (—) und vertikalen/senkrechten Linien ( | ), gibt es auch diagonale/schräge Linien ( / oder \ ). Letztere wollen wir als Gestaltungsmittel einsetzen!

Welchen Effekt haben diagonale Linien? Wozu brauchen wir sie?

Um diese Frage zu klären, müssen wir uns erst einmal bewusst machen, wie Bilder sowohl in unserem Kopf, als auch in der Kamera entstehen.

Die (meisten) Menschen haben zwei funktionstüchtige Augen. Das Gehirn nimmt Informationen – die durch die beiden Augen auf die Netzhaut fallen – auf, und setzt diese zu einem dreidimensionalen Bild zusammen. Der Effekt: Wir können räumlich sehen!

Die (meisten) Kameras hingegen, haben nur ein Auge, nämlich die Linse. Selbst eine Spiegelreflex ist nicht in der Lage, dreidimensionale Bilder zu erzeugen, wie unser Gehirn das kann. Der Effekt: Das fertige Foto ist am Ende nur zweidimensional.
Das ist der wesentliche Unterschied, zwischen einem Objektiv (inkl. Body) und einem Auge (inkl. Gehirn). Ihr kennt das sicherlich. Ihr seid gerade dabei, eure Fotos auszuwerten, und fragt euch, warum so manches Foto etwas anders aussieht, als es in der Realität ausgesehen hat: „Aber das Motiv sah doch so schön aus, als ich es aufgenommen habe? Warum sieht es auf dem Bild nicht so aus?“. Die Tatsache, dass ein räumliches dreidimensionales Bild auf ein flaches zweidimensionales Foto „reduziert wurde“, trägt unter anderem genau dazu bei!

Dieser Quatsch ist mir zu theoretisch! Wie kann ich mir das vorstellen?

Ganz einfach! Warum dürfen Leute, die auf einem Auge blind sind und mit dem anderen noch einwandfrei sehen können, nicht mehr mit dem Auto fahren? Antwort: Weil sie nicht mehr richtig räumlich sehen können und bspw. Abstände zum Vorrausfahrenden nicht korrekt einschätzen können! Zur Erinnerung: Unsere Kamera hat auch nur ein „Auge“ 😉

Ihr könnt auch den Test machen. Verdeckt mit einer Hand euer rechtes oder euer linkes Auge und schaut euch eure Umgebung an (am besten klappt das beim Autofahren, aber bitte nur als Beifahrer). Und… wirkt alles wie vorher?

Um diese zweidimensionalen Bilder etwas aufzupeppen und dreidimensional wirken zulassen, bedienen wir uns den sogenannten Diagonalen. Ein ganz stark vereinfachtes „Paint-Beispiel“, sieht so aus:

Dargestellt ist ein Haus (für alle, die es nicht erkannt haben). Links sehen wir das Haus in einer direkten frontalen Betrachtungsweise. Rechts befindet sich der Betrachter leicht versetzt und durch die entstanden Diagonalen wird eine Tiefe erzeugt. Da dieses Beispiel jedoch zu vereinfacht ist, müssen wir noch ein Stückchen weiter in die Praxis gehen.

Wie wende ich Diagonalen an, um meinem Bild Tiefe zu verleihen?

Haben wir uns für ein Motiv entschieden, geht es darum, den optimalen Betrachtungspunkt zu finden. Dieser muss so gewählt werden, dass diagonale Elemente auf das Hauptmotiv zulaufen, wie z. B. Straßen, Treppengeländer oder Gebäude. Diese Diagonalen können auch im Hauptmotiv „verankert“ sein.

Am besten verdeutliche ich das an ein paar Beispielen mit Erläuterung:

In diesem Bild ist eine lange Reihe von Fahrrädern zu sehen. Die Kamera wurde so positioniert, dass die Fahrradreihe schräg (diagonal) durch das Bild läuft. Somit wird eine unglaublich gute Tiefe geschaffen. Der Blick des Betrachters tastet automatisch die Fahrradreihe ab. Das Auge fängt bei dem vordersten Fahrrad an und tastet sich bis zum letzten Fahrrad durch. Der Betrachter wird regelrecht in das Bild hineingezogen. Die unterschiedlichen Dimensionen (Fahrräder werden immer kleiner) verstärken diesen Effekt zusätzlich.
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In diesem Bild verlaufen gleich mehrere Diagonalen. Im Vordergrund zieht sich die Abgrenzung zum Wasser quer durch das Bild, weiter hinter verläuft die schräge Brücke in die entgegengesetzter Richtung und die Häuser verschwinden im Hintergrund diagonal in der Ferne. Das Auge kann gar nicht anders. Es fängt bei der Kante zum Wasser an, „läuft“ über die Brücke an der diagonalen Häuserwand vorbei in die Ferne. Die Tiefe wurde in diesem Foto unglaublich gut geschaffen.
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Auch kurze Diagonalen (hier das Geländer) reichen aus, um eine Tiefenwirkung zu erzielen.
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So sollte man es nicht machen. Die Wand der Ruine wurde frontal fotografiert. Eine Tiefenwirkung kommt hier nicht zustande, da keine einzige Diagonale im Bild vorhanden ist.
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Was bleibt noch zu sagen?

Mit Diagonalen lassen sich Bilder interessanter gestalten, da man seinen Fotos auf diese Weise mehr Tiefe verleihen kann. Und wie so oft, kommt der wichtigste Satz zum Schluss: Diagonalen sind ein Mittel, das eine unglaublich große Wirkung haben kann und noch unglaublich größer unterschätzt wird.

Weitere Beiträge aus der „Was ist eigentlich…“-Serie:

Teil 1: Was ist eigentlich die „Blaue Stunde“?

Teil 2: Was ist eigentlich der „Goldene Schnitt“?

Teil 3: Was ist eigentlich die „Drittel-Regel“?

Teil 4: Was ist eigentlich eine „Diagonale“?

Teil 5: Was ist eigentlich „Motivüberlagerung“?

Teil 6: Was ist eigentlich die „perfekte Schärfenebene“?